01/12/2012
Zehn Jahre Colegio Pestalozzi - ein Resumé

Abschiedsartikel von Claudia Frey-Krummacher, Schulleiterin von 2003 bis 2012
 

Im Jahr meiner Ankunft, Anfang 2003, ging es Argentinien wirtschaftlich alles andere als gut. Dennoch begannen Jahre der Profilierung nach außen wie auch nach innen. Die Asociación Cultural hatte ehrgeizige Pläne: im März wurde das neue Kindergartengebäude eingeweiht. Bald darauf folgte der Ausbau des Sekundariagebäudes. Die Klassenräume selbst wurden nicht vergrößert, jedoch kamen lichte und geräumige Flure hinzu. Ein paar Jahre später folgte der dringend notwendige Neubau eines Teils der Primaria. Eine neue Eingangshalle wurde ge-schaffen, der „Oso Azul“ kam, als Symbol für die Städtepartnerschaft zwischen Buenos Aires und Berlin. Das eigentliche „Herz“ der Schule, die alte Villa, blieb zum Glück erhalten.

Die Schülerzahlen wuchsen seit diesen Arbeiten beständig an, die Klassenräume der Primaria füllten sich zusehends, der Kindergarten hatte und hat lange Wartelisten.

Vorzeigeprojekte sind es noch heute, was Gebäude, Ausstattung und Ambiente angeht. Beweis, dass durch das kluge Wirtschaften und die Geduld des Vorstandes Innovationen auch da schon möglich waren. Die Pestalozzi-Schule begann, sich weiter zu entwickeln, zeitgemäßer zu werden. Sie öffnete sich zusehends gegenüber ihrem hiesigen Umfeld, gegenüber Deutschland, wurde internationaler – wenn ich z.B. an den Austausch mit Neuseeland denke. Die vier-teljährlich erscheinende Schulzeitung, das „Boletín“ bekam ein neues Layout. Es ist heute die Brücke zu den Eltern, die Dokumentation der vielfältigen Aktivitäten.

Für mich als deutsche Leiterin der Schule war die größte Herausforderung, mich hinein zu den-ken in eine doch sehr unterschiedliche Schulkultur und –tradition. Eine Schulgemeinschaft ken-nen lernen zu dürfen, in der ausdrücklich das Kind, der einzelne Mensch, im Mittelpunkt allen Denkens steht, das war etwas, das ich so aus Deutschland nicht kannte. Die Sorge um das psychische und physische Wohlergeben, die „educación personalizada“, das M i t einander von Lehrern und Schülern, das Erziehen aus einer natürlichen Autorität heraus, nicht aus einer qua Amt verliehenen, beeindruckte mich sehr. Das nämlich hatte ich in meiner eigenen Schulzeit, vor allem in der Sekundarstufe in Deutschland (leider) ganz anders erlebt.

Unglaublich war für mich, dass die allermeisten Schüler gern in die Pestalozzi-Schule gehen, dass sie z.B. kaum Angst vor Klassenarbeiten haben. Ein weitestgehend angstfreies Klima zu schaffen, ist für mich die Grundlage für alles Lernen und Erziehen. In der Pestalozzi-Schule wie in keiner anderen Schule herrscht ein Arbeitsklima, in welchem jeder sich frei bewegen und entwickeln kann. Der spürbar respektvolle, ja oft sehr liebevolle, Umgang zwischen Lehrern und Schülern ist bemerkenswert.

Ich kam zu einer guten Zeit: das 70-jährige Jubiläum der Schule 2004 wurde mit der Anna Frank-Ausstellung begangen, die viele Besucher anzog. Das 75. Jubiläum mit den Darbietungen der Artistengruppe „La Arena“ und des Orff-Orchesters der Primaria. Und bald schon feiert die Schule ihr 80-jähriges Bestehen. Das haben die Gründer gewollt: humanistische Ideale, liberale Werte und der „Dialog der Kulturen“ waren und sind weiterhin prägend für das Profil der Pestalozzi-Schule und werden dies auch künftig sein.

Und welch intensive Arbeit wurde im Bereich Bildung und Erziehung geleistet! Dank der Offen-heit und Bereitschaft aller Beteiligten, ist es uns gelungen, seit 2004 die Qualität des eigentlichen „Kerngeschäfts“ der Schule nachhaltig weiter zu entwickeln. Peer-Review, SEIS+-Umfragen, intensive Vorbereitung auf die Bund-Länder-Inspektion (BLI), führten 2010 dazu, dass die Pestalozzi-Schule seither das Gütesiegel „Exzellente deutsche Auslandsschule“ (übrigens als erste Schule im südlichen Südamerika!) führen darf. Die Notwendigkeit der externen Evaluation für die Weiterentwicklung wurde erkannt: wir sind auf dem richtigen Weg!

Das „gemischtsprachige deutsch-spanische International Baccalaureate“ (GIB) ist nun auch seit 10 Jahren an der Pestalozzi-Schule fest etabliert. Es stellt eindeutig höhere Anforderungen an die Schüler. Anfangs gab es noch Bedenken, ob es nicht doch Ungleichheit schaffe, einige Schüler gegenüber anderen privilegiere. Eine längere Zeit war es eher nur einer kleineren Anzahl von Schülern die Anstrengung wert. Für das Schuljahr 2013 hat sich fast die Hälfte der Jahrgangsstufe 10 für dieses international anerkannte Prüfungsformat entschieden. Mehr leis-ten, sich anstrengen, eröffnet mehr und bessere Chancen in einer zunehmend kompetitiven und globalisierten Welt. Das GIB ist nach 10 Jahren an der Pestalozzi-Schule „angekommen“!

Aufgrund ihrer Geschichte und ganz besonderen Tradition war die Pestalozzi-Schule unter den mittlerweile 140 deutschen Auslandsschulen immer schon etwas ganz Besonderes. Vor Ort hatte die Schule immer schon den Ruf, eine sehr gute argentinische Schule zu sein. Die Schärfung ihres bi-kulturellen, argentinisch-deutschen, Profils hat in den vergangenen 10 Jahren kon-tinuierlich zugenommen und so neue Akzente gesetzt.

Wie erfreulich und wichtig sind die Beiträge der Kulturabteilung für die große Pestalozzi-Familie. Auch das Kommunikationsnetz der ehemaligen Schüler ist weiterentwickelt worden. Intensive Kontakte zu den unterschiedlichsten Gruppen der argentinischen Gesellschaft haben meine Arbeit bereichert, viele gute Freundschaften sind entstanden über das rein Schulische hinaus.

Viele Pestalozzi-Schüler haben Deutschland und deutsche Familien kennen gelernt und mit ihnen zusammengelebt. Der ständig wachsende Schüleraustausch (Ende 2012 reisen 64 (!) Schüler nach Deutschland) hat Vielen neue Horizonte eröffnet, ein perspektivisches Weltbild ermöglicht. Deutsche Austauschschüler und Praktikanten vermitteln ein authentisches Bild des heutigen Deutschlands und Europas. Auch der Deutschunterricht hat einen größeren Stellenwert erhalten. Die Bereitschaft junger Argentinier, ein Studium in Deutschland aufzunehmen, oder später einen zusätzlichen Titel dort zu erwerben, kann und wird weiter wachsen.

Eine Schule ist nur so gut, wie die Menschen, die in ihr lernen und arbeiten. Die Basis für jede schulische Entwicklung ist die konfliktfreie Zusammenarbeit aller Beteiligten, das gemeinsame Ziel. Hier ist es die erfolgreiche Zusammenarbeit von Menschen zweier sehr unterschiedlicher Kulturkreise, die sich gegenseitig ergänzen, die bereit sind, voneinander zu lernen, die einen permanenten Dialog pflegen. Ich hatte das Glück, diese optimalen Bedingungen an der Pestalozzi-Schule vorzufinden.

Es waren zehn wirklich gute Jahre, auf die ich zurückblicke. Jahre, die mich persönlich und be-ruflich nur bereichert haben. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese wirklich außergewöhnliche Schule zehn Jahre begleiten und mitgestalten durfte. Sie hat mir unzählige Begegnungen mit wertvollen Menschen ermöglicht, die Sympathie und Akzeptanz vieler Schüler durfte ich spüren. Es gab wirklich keinen einzigen Tag an dem ich nicht gern in die Schule gekommen bin. Auch ich habe viel gelernt. Manchmal gab es sehr langwierig erscheinende Diskussionen, aber mit Kompromissbereitschaft und einer guten Prise Humor und oft auch Selbstironie sind wir eigent-lich immer zu einem tragfähigen Konsens in der schulischen Arbeit gekommen.

Vieles ist gut zusammengekommen : die uns stets fair begleitende Zentralstelle für das Aus-landsschulwesen (ZfA) in Deutschland, das hohe Engagement der Deutschen Botschaft in Bu-enos Aires, das „Argentinische Tageblatt“, die Verwaltung der Schule, Nestor und sein Team, alle meine argentinischen und deutschen Kollegen und Mitarbeiter, die Psychologinnen, die Tutoren und Preceptoren, die ehemaligen Schüler, die Eltern, die aktive kluge Begleitung und Lenkung durch den Vorstand und seinen Vorsitzenden, Ricardo Hirsch. Auch mein Mann, Gerhard, ein ausgesprochener „Fan“ der Pestalozzi-Schule, hat mich immer unterstützt und uns auch zahlreiche Türen geöffnet.

Aber vor allem sind da noch die vielen fröhlichen, lebhaften und zugewandten Schülerinnen und Schüler unserer Schule! Ohne alle Genannten wäre es nicht das geworden, was es für mich geworden ist: zehn gute Jahre Colegio Pestalozzi!

Der Pestalozzi-Schule und allen, die in ihr und für sie arbeiten, wünsche ich von ganzem Herzen weiterhin den Erfolg, den sie sich jeden Tag aufs Neue verdienen und für den sie sich un-ermüdlich engagieren.

Erziehung und Bildung ist unsere Aufgabe und Verantwortung. Auf dieser sicheren Grundlage können sich die Talente von morgen entwickeln.

„ Hombre, Pueblo, Nación, Estado, Todo: Todo está en los humildes bancos de la escuela.” (Domingo Faustino Sarmiento 1811-1888)

Claudia Frey-Krummacher